Antirassistische Infomail #3: Kulturelle  Aneigung – Schwerpunkt weiße Locks

In der Antirassistischen Infomail #3 möchte die Antira AG von Ende Gelände Berlin die Kulturelle Aneignung bei Ende Gelände und in der Klimagerechtigkeitsbewegung insgesamt problematisieren und dazu anregen, sich über die Hintergründe zu informieren

Liebe klimabewegte Menschen,

In unserer Antirassistischen Infomail #3 möchten wir Kulturelle Aneignung bei Ende Gelände und in der Klimagerechtigkeitsbewegung insgesamt problematisieren und dazu anregen, sich über die Hintergründe zu informieren. Wir sprechen hauptsächlich über Schwarze Frisuren, insbesondere Locks, die bei weißen Menschen in „linken“ und „alternativen“ Szenen sehr verbreitet sind. Wichtig ist aber, dass dies nicht die einzige Form der kulturellen Aneignung in der deutschen Klimabewegung ist! Wir beziehen uns in dieser Mail auf die Forderungen aus einem Offenen Brief von BIPoC (1) an die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung. Den Link zum Brief findet ihr unten.

Forderung 4: „Wir fordern, dass weiße Organisator*innen und Teilnehmer*innen ihre eigene Position und Privilegien kritisch hinterfragen. White Dreads sind leider weiterhin ein Erkennungssymbol von Ökoaktivismus und vielen linken Szenen“ (2)

In der Mail richten wir uns hauptsächlich an weiße (3) Menschen.

Was ist kulturelle Aneignung?

Im Kontext von Rassismus findet Kulturelle Aneignung statt, wenn sich weiße Menschen Symbole, Gegenstände und Praktiken aus einer marginalisierten Kultur zu ihrem Nutzen zu Eigen machen, während die marginalisierte Gruppe für ebendiese kulturellen Elemente rassistisch diskriminiert wird. Seit dem Kolonialismus definieren weiße Menschen „andere“ Gruppen und beuten diese aus. Das setzt sich beispielsweise in Form kultureller Aneignung noch heute fort. Zum Beispiel wenn Museen koloniale Raubgüter weiter ausstellen, finanziell davon profitieren und nicht zurückgeben. Weiße Menschen profitieren damit weiterhin vom Kolonialismus, während sie Schwarze, Indigene und Menschen of Color gleichzeitig weiterhin rassistisch als „unzivilisiert“ abwerten.

Kulturelle Aneignung kann direkt mit materiellem Profit einhergehen, wie im Museum, in der Popkultur und der Modebranche. Der Profit kann jedoch auch nicht-materiell, sondern symbolisch sein. BIPoC und marginalisierte Kulturen werden einerseits durch Kulturelle Aneignung unsichtbar gemacht und abgewertet, aber gleichzeitig ausgebeutet.

Wo gibt es kulturelle Aneignung in der Klimagerechtigkeitsbewegung?

In der Klimabewegung ist das Tragen von Locks durch weiße Menschen sehr verbreitet. Viele BIPoC und Menschen, die sich mit Antirassismus und Kolonilismus auseinandersetzen sehen das als Form der Kulturellen Aneignung.

Begriff Locks

Es gibt unterschiedliche Positionen zu dem Begriff „Dreadlocks“ und wir fühlen uns in der Verwendung unsicher. Das Wort „dread“ kann angelehnt an „dreadful“ (schrecklich/ fuchtbar) eine negative Konnotation hervorrufen. Daher wird die Verwendung von manchen BIPoC kritisiert. Da „Locks“ auch verständlich ist und wirmöglichst sensible Sprache benutzen wollen, verwenden wir den Begriff „Locks“ (falls ihr mehr Wissen zu der Diskussion habt freuen wir uns sehr, wenn ihr das mit uns teilt).

Geschichte von Locks

Die Ablehnung weißer Schönheits­normen durch Schwarze ist eng verknüpft mit der Entstehung der Schwarzen Bürger*innen­­rechts­­bewegung in den USA, Black Nationalism und Black Power Movements: Diese Bewegungen nutzten und nutzen die bewusste Aneignung „natürlichen“ Schwarzen Haares als Antirassistische Widerstandspraktik gegen weiße Unterdrückung und erfahren für diesen widerständigen Akt Repressionen.

Wieso ist das Tragen durch weiße Menschen problematisch?

„Imitiere nicht Schwarzsein oder verleugne nicht Dein eigenes Weißsein . Man wird nicht weniger weiß , wenn man aus einer sozial benachteiligten Familie kommt. Man ist auch nicht weniger weiß , wenn man versucht, sich Dreads wachsen zu lassen, oder Schwarze imitiert. Du meinst es ja gar nicht böse, verhälst Dich aber leider wie ein „guter Kolonisator“: Du bedienst Dich Schwarzer Symbole, sogar der Befreiungssymbole, eignest sie Dir an, spielst mit ihnen und bekommst dafür von den anderen Weißen Aufmerksamkeit und/oder Bewunderung für Deinen „Mut“ und Deine Extravaganz. Die Schwarzen Symbole werden dadurch lächerlich gemacht, weil sie durch Weiße umgedeutet und besetzt werden. Bisher wurden die meisten Schwarzen Kulturbeiträge durch Weiße vereinnahmt und verzerrt. (…) Dir sollte klar sein, dass Du Dich aufgrund Deines Weißseins aus jeder Kultur bedienen und trotzdem am Drücker sitzen kannst. Weil viele Schwarze Deutsche diese Kombination gar nicht witzig finden, haben wir auch keine Lust, Dir zu Deinen Dreadlocks zu gratulieren.“
(Sow, Noah (2009): Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus. München: W. Goldmann, S. 251-252. Zitiert nach
https://maedchenmannschaft.net/schwarze-widerstandssymbole-auf-weissen-koepfen/ )

Während für Schwarze Personen das Tragen von Locks oder auch „natural hair“ eine widerständige Bedeutung hat und mit rassistischer Diskriminierung einhergeht, werden weiße Menschen für das Tragen von Locks gelobt und gelten als „weltoffen“ oder „stylisch“. Hier werden aktiv Machtverhältnisse reproduziert: Die weiße Person behält ihre Privilegien, das Erscheinungsbild kann jederzeit abgelegt werden, während der Rassismus gegen Schwarze Menschen aufrecht erhalten wird.

Bei weißen Menschen werden Locks häufig als „alternativer Modetrend“ gesehen, wohingegen Locks bei Schwarzen Menschen von der weißen Mehrheitsgesellschaft oft rassistisch als „unprofessionell“, „ungepflegt“ oder ähnliches abgewertet und die Träger*innen diskriminiert werden. Die  Problematik an der Aneignung von Locks kann also nur verstanden werden, wenn das bestehende rassistische Machtverhältnis und die Erfahrung von BIPoC gesehen wird.

Locks wurden und werden von Schwarzen Menschen auch als Zeichen des politischen Widerstandes benutzt. Dasselbe Symbol bei weißen Menschen zu sehen, die durch das Tragen von Locks keinen rassistischen Zuschreibungen ausgesetzt sind, oder sogar für ihren „Mut“ oder „Freigeist“ gefeiert werden, kann bei BIPoC zu Verletzung führen.

Dass so viele weiße Klimaaktivist*innen auf Klimacamps und in Aktionen mit Locks rumlaufen, wurde von BIPoC mehrfach öffentlich als einer der Gründe genannt, warum viele sich in Räumen der Klimabewegung in Deutschland oft nicht wohl fühlen können. Trotzdessen hat sich wenig daran verändert. Die von BIPoC geäußerte Kritik der kulturellen Aneignung nehmen weiße Personen häufig nicht an. Dieser Umgang ist Teil weißer Privilegien: weiße Personen leben in dem Glauben die Deutungshoheit über die Legitimität all ihrer Handlungen zu haben. Von der weißen Mehrheitsgesellschaft wird dieses Denken nicht in Frage gestellt.

Wie sollte damit unserer Meinung nach umgegangen werden?

  1. Die Verletzung, die das Tragen von weißen locks bei BIPoC auslöst sollte anerkannt und ernst genommen werden . Achtung: Vielleicht kennst du BIPoC, die sagen, dass sie das Tragen von weißen Locks nicht verletzend finden. Wenn das wirklich so ist, freut uns das für die Person. Das heißt aber noch lange nicht, dass andere BIPoC keine guten Gründe dafür haben können, von weißen Locks verletzt zu werden. (Nur weil eine Frau sagt, eine sexistische Handlung sei für sie okay, bedeutet das ja auch noch lange nicht, dass ihr euch allen Frauen gegenüber so verhalten dürft.)
  2. Teilt das Wissen über die Hintergründe von Locks und den Mechanismus der Kulturellen Aneignung. Es ist die Verantwortung aller, insbesondere weißer Menschen ihre Position und ihre Handlungen kritisch zu reflektieren. Ihr könnt gerne diese Mail weiterleiten, aber auch einen Lesekreis oder eine Veranstaltung dazu organisieren.
  3. Beschäftige dich auch mit anderen aneignenden Praxen bei dir und in deinem Umfeld. Wenn du bei bestimmten Dingen, die du tust ein unsicheres Gefühl hast, ob es sich um kulturelle Aneignung handeln könnte, nehm dieses Gefühl ernst. Suche nach Informationen zu dem Thema. Wenn du nichts dazu findest oder Informationen widersprüchlich sind, dann heißt das nicht dass es sich nicht um kulturelle Aneignung handeln kann . Warte nicht auf den Moment, dass du eine Person verletzt. Unterlass lieber mal eine Handlung oder nehm dir mehr Zeit darüber nachzudenken, als das Risiko einzugehen Menschen zu verletzen.
  4. Redet mit euren Freund*innen und in euren Politgruppen über das Thema . Wartet nicht auf den Moment, dass eine Schwarze Person oder Menschen of Color euch oder eure weißen Mitstreiter*innen kritisieren müssen. Auch weiße Menschen haben die Verantwortung rassistisches Verhalten zu kritisieren .
  5. Obwohl wir es wichtig finden, dass ihr (an weiße Menschen!) kulturelle Aneignung untereinander kritisiert finden wir es wichtig, dabei auch Rücksicht auf unterschiedliche Wissensstände zu nehmen und respektvoll miteinander umzugehen . Es geht nicht darum, einzelne Menschen aus der Szene auszuschließen oder öffentlich schlecht zu machen, sondern darum, strukturelle antirassistische Veränderungen anzustoßen.
  6. Wenn du andere Menschen kritisierst: Check your position ! Alle, besonders weiße Menschen reproduzieren Rassismus, weil wir in einem rassistischen System sozialisiert werden. Alle Menschen haben irgendwann damit angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und niemand kann von sich behaupten den Prozess abgeschlossen zu haben. Also kritisiere rassistisches Verhalten anderer, aber vergiss nicht, dass auch du nicht frei von Rassismus bist !

Hier lassen sich nicht das gesamte Ausmaß, die Geschichte und die Folgen von kultureller Aneignung darstellen. Das was wir in dieser Mail schreiben haben nicht wir erfunden, sondern ist eine Zusammenfassung von Analysen und Argumenten von BIPoC zum Thema Kulturelle Aneignung. Hier findet ihr weiterführende Materialien:

Artikel

Videos

Podcasts

Buch

Wir hoffen, wir konnten einen Anstoß geben, der zu antirassistischem Verhalten führt. Schreibt uns auch gerne Feedback!

Solidarische Grüße,
eure Antira AG von Ende Gelände Berlin

P.S.:
Unsere Infomail #1 Allgemeines findet ihr hier: https://www.ende-gelaende.org/news/antirassistische-infomail-1/
Unsere Infomail #2 zu Tokenism findet ihr hier: https://www.ende-gelaende.org/news/antirassistische-infomail-2-tokenism/


(1) BIPoC: BIPoC steht für Black, Indigenous and People of Color, also Schwarze Menschen, Indigene Menschen und Personen of Color. Der Begriff ist eine Selbstbezeichnung, der sich gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft wehrt. Er beschreibt nicht die biologischen Merkmale von Menschen, sondern eine soziale Konstruktion, welche Menschen eine bestimmte soziale Position zuweist. BIPoC verbinden geteilte Rassismuserfahrungen, Ausgrenzungen von der weiß dominierten Mehrheitsgesellschaft und Zuschreibungen „anders“ zu sein.

(2) Den Brief von BIPoC an das Klimacamp und Andere findet ihr hier .

(3) weiß : weiß bzw. weißsein bezeichnen ebenso wie der Begriff PoC keine biologische Eigenschaft, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit weißsein ist die dominante und privilegierte Position in dem Machtverhältnis Rassismus gemeint. Sie bleibt häufig unausgesprochen und unbenannt, obwohl zu jeder Diskriminierung sowohl eine diskriminierte, als auch eine privilegierte Position gehören. Im Gegensatz zu dem Begriff BIPoC ist weiß keine Selbstbezeichnung. Um zu verdeutlichen, dass weißsein ein Konstrukt ist wird es hier kursiv geschrieben.


News

Von Räumung bedrohte Flächen in Lützerath von Aktivist*innen besetzt +++ Ende Gelände verteidigt die 1,5 Grad Grenze am Rande des Tagebaus Garzweiler II +++ Kritik an Ampel-Plänen aus der Klimabewegung +++

17. Oktober 2021 Heute, am 17.10.2021 haben Aktivist*innen von Ende Gelände eine weitere Fläche im vom Abriss bedrohten Dorf Lützerath besetzt. Am Rande des wöchentlichen Dorfspaziergangs der Initiative „Alle Dörfer BLEIBEN!“ wurde ein gelb angemalter Dreibein (Tripod) und ein Blockadeturm errichtet. Weiterlesen ...

Aktionstage zu den Koalitionsverhandlungen angekündigt ++ Breites Bündnis „Gerechtigkeit Jetzt!“ ruft zu Protesten gegen Ampel- und Jamaikakoalition auf

10. Oktober 2021 Mit dem heutigen Start der Ampel-Sondierungen ruft ein breites Bündnis aus sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vom 20. bis 29. Oktober 2021 unter dem Motto "Gerechtigkeit Jetzt!" zu Aktionstagen während der Koalitionsverhandlungen in Berlin auf. Neben Großdemonstrationen von Fridays for Future und Solidarisch geht anders! sind auch Blockadeaktionen zivilen Ungehorsams unter dem gemeinsamen. Hashtag #IhrLasstUnsKeineWahl sowie eine Konferenz Teil der Aktionstage. Weiterlesen ...