+++ Polizeigewalt in Düsseldorf – Erlebnisbericht von Ende Gelände +++

Hier folgt ein Bericht unserer Erlebnisse bei der Großdemonstration „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten“ am 26. Juni 2021 in Düsseldorf.

EG-Logo

Kurz nach 14 Uhr verließ der Demozug die Rheinwiesen, wo sich die ca. 8.000 Demonstrant*innen versammelt hatten. Die Demo war in mehrere Blöcke unterteilt. Als Teil des Klimagerechtigkeitsblocks liefen wir an dritter Stelle recht weit vorne, der Antifa-Block lief weiter hinten in der Demo mit.Bei uns war die Stimmung trotz großer Hitze fröhlich. Es war eine recht große Polizeipräsenz da, was sich aber in dem erwartbaren Rahmen für eine Demo dieser Größenordnung hielt. Eine Weile nach dem Verlassen der Rheinbrücke, erfuhren wir jedoch, dass der Antifa-Block von einem Spalier Polizist*innen begleitet wurde, und dass am Ende der Brücke Polizist*innen in voller Montur bereits in Stellung gegangen waren.

Der Demozug kam zum Erliegen und auf Höhe des Hofgartens erfuhren wir, dass der Antifa-Block von der Polizei attackiert und gekesselt wurde. Wir sind kurzerhand umgekehrt, um dem Antifa-Block Beistand zu leisten; ein großer Teil des Klimagerechtigkeitblocks lief ca. 300 m zurück und nahm, zusammen mit u.a. Fußballfans und nun durcheinander gewürfelten Blöcken, um den Polizeikessel Stellung. Trotz sich bedrohlich positionierender Polizeikräfte in voller Montur, verharrten wir dort Parolen rufend, bis die Polizei sich dem Druck beugte und den Kessel unter Jubel löste.

Ab dem Moment war klar, dass die Polizei es auf den Antifa-Block abgesehen hatte und erneut versuchen würde, ihn zu kesseln. Es war unsere Absicht, keine Lücken im Demozug mehr zu erlauben, die dafür ausgenutzt werden könnten, einen neuen Kessel zu starten.

Die Demo kam ab dem Punkt nur noch sehr schleppend voran, immer wieder wurde sie am Weiterlaufen verhindert, die Stimmung war aufgepeitscht und wütend. In der Breiten Straße, kurz vor der Kreuzung Bastionstraße, kam es wieder zu einem längeren Stillstand, der mit einem Rettungswageneinsatz vor der Demospitze begründet wurde, doch niemand sichtete je das Fahrzeug oder die Unfallstelle. Im Nachhinein werten wir diesen vermeintlichen Rettungswageneinsatz als eine Lüge und Verzögerungstaktik der Polizei, um ihr zu erlauben, Einheiten auf der Benrather Straße und der Bastionstraße zu positionieren. Nichts ahnend warteten wir und schwitzten.

Währenddessen kam es nach dem Zünden von zwei Bengalos wieder zu einem Angriff auf den Antifa-Block. Der Versuch der Polizei, hier einen sehr jungen Demonstranten gefangen zu nehmen, schlug jedoch fehl, da die Demonstrant*innen die Polizist*innen nicht durchließen, bis sie den Gefangenen freigaben. Die Stimmung drohte zu kippen, die Polizei trat sehr aggressiv und enthemmt auf. Viele Demo-Teilnehmer*innen hatten Angst, was uns jedoch nicht daran hinderte, solidarisch zu bleiben. Nach Stunden in praller Sonne waren viele erschöpft, ein Block an Fußballfans verließ hier bereits die Demo.

Als uns kurz nach 18:00 Uhr endlich erlaubt wurde weiterzuziehen (in den vier Stunden seit Demobeginn hatten wir gerade mal 2,3 km unserer geplanten Strecke zurück gelegt), liefen wir als ausgedünnter und auseinandergezogener Klimagerechtigkeitsblock über die Kreuzung Bastionstraße, als uns ohne Vorwarnung Dutzende Polizist*innen in voller Montur seitlich rammten, uns brutal auseinander trieben und zurückdrängten, und somit den vorderen Teil des Demozuges vom Antifa-Block trennten. Es wurde, und das nicht zum ersten mal an diesem Tag, wieder unser Grundrecht der Versammlungsfreiheit von der Polizei mit Füßen getreten. Dabei wurden wir hin- und her geschubst, mit Pfefferspray angegriffen, geschlagen und getreten. Genauso wurden uns Transpis, Plakate und Sonnenschirme aus den Händen gerissen und auf den Boden geworfen. Die Sanitäter*innen kamen kaum mit dem Behandeln der Verletzten hinterher und wurden bei ihrer Arbeit teilweise von der Polizei drangsaliert. Etwa eine halbe Stunde lang wussten wir nicht was auf uns zukommt, hatten Angst um unsere Genoss*innen und vor einem weiteren Angriff. Wir positionierten uns, so gut wir konnten, um uns gegenseitig zu schützen und nicht weiter zurückgedrängt zu werden.

Wir erfuhren, dass der gesamte Antifa-Block und der vordere Teil des Blocks der Linkspartei gekesselt waren, wobei die ursprüngliche Block-Ordnung zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich aufgelöst war und alle möglichen Menschen in den Kessel geraten waren.

Etwa um 18:40 Uhr kam eine Durchsage der Polizei. Wegen verschiedener Straftaten, wie Vermummung durch „zu hoch gehaltene Transparente“ (?!) und Zünden von Pyrotechnik, sei der Antifa-Block jetzt von der Demonstration ausgeschlossen und solle sich auflösen. Dem vorderen Teil der Demo wurde vermittelt, dass, weil wir uns friedlich verhalten hätten, wir uns nichts vorzuwerfen hätten, und wir unsere Demoroute fortsetzen sollten (den Demonstrant*innen im Demozug hinter dem Kessel wurde wohl das selbe Angebot unterbreitet).
Man bemerke den Hohn, dass wir „friedliche Demonstran*innen“ trotzdem brutal auseinander geprügelt wurden. Zudem erwähnte die Polizei natürlich mit keinem Wort, dass die Gewalt von Anfang an von ihnen ausging und sich explizit gegen den Antifa-Block gerichtet hat.

Dem Versuch der Polizei, unsere Demonstration zu spalten, haben wir uns entschlossen entgegen gestellt. Es war für uns alle vollkommen ausgeschlossen, den Antifa-Block zurückzulassen und ohne ihn weiterzuziehen. Wir riefen solidarische Parolen, wie „Zusammen kämpfen ist doch klar – Klimaschutz heißt Antifa“, um den Gekesselten moralischen Beistand zu leisten. Weiterhin machten wir uns Sorgen über weitere Angriffe und hofften einige Stunden trotzdem noch darauf, dass die Polizei den Kessel lösen und ihre absurden Anschuldigungen fallen lassen würde.

Doch vergebens. Stattdessen begann die Polizei damit, die Identität der ca. 300 Kessel-Insassen aufzunehmen und sie abzuführen. Dies dauerte bis spät in die Nacht. Zugang zu Toiletten wurde verwehrt, und der vom Sani-Team bereitgestellte Wasser-Nachschub, wurde erst auf Nachdruck und nach Stunden durchgelassen. Der Demozug kam keinen Meter weiter und erreichte nie sein Ziel am Düsseldorfer Landtag. Bis zum Ende warteten Demonstrant*innen auf die Gekesselten und versuchten herauszufinden, wer noch gefangen gehalten wurde. Wir mussten an diesem Tag erneut ansehen, wie die Polizei willkürlich und brutal Genoss*innen angriff. Unser Dank gilt aber an dieser Stelle allen solidarischen Menschen und dem großartigen Sani-Team.

+++ Analyse +++

Wir bewerten diesen eskalativen und brutalen Polizeieinsatz als von der Einsatzleitung gewollt und gezielt herbeigeführt. Die Angriffe auf den Antifa-Block waren nicht reaktiv, sondern aktiv. Das Zünden von Pyrotechnik wurde als Anlass genutzt, um den bereits im Vorfeld so geplanten Einsatz zu rechtfertigen. Der Kessel an der Kreuzung Bastionstraße wurde ganz offensichtlich schon im vorhinein von der Polizei vorbereitet, bevor überhaupt Pyrotechnik gezündet wurde. Die Polizei verzögerte durch ihre Lügen absichtlich die gesamte Demo (vorgetäuschter Rettungswagen-Einsatz), um den optimalen Ort zum Kesseln nutzen zu können. Auslösende Angriffshandlungen seitens der Demonstrant*innen gab es unseres Wissens nach keine. Diese wurden erst im Nachgang von der Polizei in ihrer Pressemitteilung dazugedichtet. In den polizeilichen Durchsagen am Demotag selbst war nur von „Widerstandshandlungen“ (= Notwehr) die Rede.

Wir vermuten zwei Ziele hinter dieser geplanten Eskalation:

1. Den Antifa-Block zu einer aktiven Gegenwehr zu zwingen, um so die Bilder von „randalierenden Vermummten, die sich mit der Polizei prügeln“ erzeugen zu können. Das hätte Herbert Reuls Narrativ unterstützt, dass das neue Versammlungsgesetz ja dazu dienen soll, friedliche Demonstrant*innen vor „Störer*innen“ zu schützen. Dafür spricht der Versuch der Polizei, die restliche, als „bürgerlich“ wahrgenommene Demo, dazu zu animieren, ohne den Antifa-Block weiterzulaufen. Damit hätte rhetorisch eine Distanz zwischen „guten“ und „bösen“ Demonstrant*innen (natürlich die „anrüchige“ Antifa…), die den „Guten“ das friedliche Demonstrieren versaut, aufgebauscht werden können.
Die gute Nachricht: die Polizei hat die Demo falsch eingeschätzt! Mit unserer konsequenten Solidarität mit dem Antifa-Block, haben wir ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Schlecht für die Pläne der Polizei war auch der durch sie verletzte dpa-Journalist, welcher auch Klage eingereicht hat. Zu oft bleibt Gewalt gegen (linke, freischaffende) Pressevertreter*innen unkommentiert und unbestraft – doch mit der dpa wurde ein als seriös wahrgenommenes Presseorgan angegriffen. Und genau hier fielen die Konsequenzen deutlich anders aus, wie wir am Medienecho beobachten konnten.

2. Als ein weiteres Ziel des Polizeieinsatzes sehen wir die Feststellung der Identität von möglichst vielen Demonstrant*innen. Neben dem Kesseln und der anschließenden ID-Aufnahme von ca. 300 als „radikal“ angesehenen Antifas spricht dafür dreierlei:

– die Errichtung von großen Zelten und Lichtmasten am Hauptbahnhof, in denen man bis spät in die Nacht erkennungsdienstliche Maßnahmen hätte durchführen können;

– das Ausrufen einer Waffenverbotszone am Düsseldorfer Hauptbahnhof – ausgerechnet am Demo-Wochenende – welches es der Polizei erlaubt hätte, anlasslose Kontrollen und Rucksack-Durchsuchungen durchzuführen und die Identität von Menschen mit Transpis, weißem Maleranzug oder schwarzer Jacke im Rucksack festzuhalten;

– das Einbeziehen von Polizeikräften aus anderen Zuständigkeitsgebieten (z.B. der Abteilung Wirtschaftskriminalität). Laut eigenen Aussagen der besagten KriPo-Beamt*innen, wurden sie bereits zwei Tage im Vorfeld einbezogen, um bei der Demo Fahrdienste und administrative Tätigkeiten zu übernehmen. Das deutet darauf hin, dass ein Großeinsatz mit vielen Festnahmen geplant war.

Wir vermuten, dass nach der medialen Empörung bereits am Abend von diesem Ziel Abstand genommen wurde, und sich die Polizei damit zufriedengegeben hat, die Daten der Gekesselten aufzunehmen. Wir vermuten aber auch, dass es unter anderen Umständen zu vielen Festnahmen am Hauptbahnhof gekommen wäre und dass die Polizei scharf darauf war, möglichst viele von uns zu identifizieren.

Wir halten vor allem eines fest: wenn wir zusammenhalten und uns nicht spalten lassen, gehen wir als Bewegung gestärkt aus den Strapazen heraus und können so entschlossener denn je autoritäre Tendenzen im Keim ersticken. Siamo tutti antifascisti! Solidarity will win!


News

Von Räumung bedrohte Flächen in Lützerath von Aktivist*innen besetzt +++ Ende Gelände verteidigt die 1,5 Grad Grenze am Rande des Tagebaus Garzweiler II +++ Kritik an Ampel-Plänen aus der Klimabewegung +++

17. Oktober 2021 Heute, am 17.10.2021 haben Aktivist*innen von Ende Gelände eine weitere Fläche im vom Abriss bedrohten Dorf Lützerath besetzt. Am Rande des wöchentlichen Dorfspaziergangs der Initiative „Alle Dörfer BLEIBEN!“ wurde ein gelb angemalter Dreibein (Tripod) und ein Blockadeturm errichtet. Weiterlesen ...

Aktionstage zu den Koalitionsverhandlungen angekündigt ++ Breites Bündnis „Gerechtigkeit Jetzt!“ ruft zu Protesten gegen Ampel- und Jamaikakoalition auf

10. Oktober 2021 Mit dem heutigen Start der Ampel-Sondierungen ruft ein breites Bündnis aus sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vom 20. bis 29. Oktober 2021 unter dem Motto "Gerechtigkeit Jetzt!" zu Aktionstagen während der Koalitionsverhandlungen in Berlin auf. Neben Großdemonstrationen von Fridays for Future und Solidarisch geht anders! sind auch Blockadeaktionen zivilen Ungehorsams unter dem gemeinsamen. Hashtag #IhrLasstUnsKeineWahl sowie eine Konferenz Teil der Aktionstage. Weiterlesen ...